Auf den Internationalen Filmfestspielen in Ebensee / Österreich

erhielt am 26. Juni 2005 dieser Film den “SILBERNEN BÄREN” aus über 700 gemeldeten Filmen von Profis und nicht kommerziellen Filmemachern.

Lesen Sie hier die Entstehungsgeschichte.



 Wie Tursia berühmt wurde

 

In den 20 Jahren da meine Familie und ich an die spanische Ostküste reisten, wurden zwar stets Erinnerungsfilme und Videos gedreht aber ein gestalteter Film ist nie daraus entstanden.

 

Eigentlich sollten es ganz normale Ferien im sonnigen Spanien werden. Aber es kam dann ganz anders. Stand anfangs Erholung und „Die Seele baumeln lassen“ im Vordergrund, entwickelte sich nach einigen Tagen daraus ein Jahresurlaub mit detektivischen Momenten.

 

Es ist noch früh am Morgen. Gerade im Hotel angekommen, deponieren wir unsere Koffer, denn unsere gebuchten Zimmer stehen uns erst in drei Stunden zur Verfügung.

 

Ein Stadtplan liegt an der Rezeption der Hotels aus. Kurze Orientierung und es geht los.

Entlang an diversen Souveniershops  kaufe ich in einem Zeitschriftenladen einen Fremdenführer in Form eines Taschenbuches, um Wissenswertes über den Ferienort zu erfahren. Mit diesen Informationen ausgestattet erkunden wir in einer ersten Begehung unser Urlaubsziel. Es heißt Tossa de Mar und liegt ca. 12 Kilometer nördlich von Lloret de Mar, der Touristenhochburg  an der Costa Brava.

Nach 10 Minuten Fußweg erste Station unserer Begehung, die sichelförmige Meeresbucht.

Im Hintergrund das atemberaubende Bild der von der Morgensonne bestrahlten und goldgelb leuchtende Burg. Erste Videoaufnahmen und Marita, meine Frau zückt die Fotokamera.

 

Beim anschließenden Kaffeetrinken in einem der zahlreichen Straßenlokale habe ich zum ersten Mal Gelegenheit in den gekauften Fremdenführer der Stadt zu blättern. Der Ort bietet viele Sehenswürdigkeiten – ist mein erster Eindruck.

 

Für den späten Nachmittag und Abend nehmen wir uns vor, die Burg zu besichtigen.

 

Im Laufe der Geschichte änderte Tossa zweimal seinen Namen. Ursprünglich als Turissa im 8. Jahrhundert bezeichnet wurde 400 Jahre später daraus die Stadt Tursia. Aus dieser Zeit stammt auch die Festung, in der auch heute noch über 80 Häuser stehen.

 

Zu bestimmten Zeiten fanden über 1000 Menschen hier Zuflucht vor Angriffen von Piraten, so lerne ich aus meiner Broschüre.

 

Als die Dunkelheit einsetzt, sind wir nach einem ausgedehnten Bummel durch die Altstadt Tossas auf den oberen Wegen der Burg angelangt. Bis hier mussten Fotoapparat und Videokamera schon viel leisten. Jeder Blick in jede Richtung im Inneren der Burg erweist sich als postkartenreif. Ich lehne an der Bronzestatue einer Frau, deren Bedeutung ich noch nicht kenne und blicke auf die illuminierte Bucht der spanischen Kleinstadt.

 

Am späten Abend sitze ich auf der Terasse unseres Hotels und vertiefe mich wieder in meine Broschüre über die Stadt und ihre Geschichte. Nach einigen Seiten fällt mir ein Satz auf, der einige Fragen aufwirft. Zuvor wird davon berichtet, daß wirtschaftliche Erträge aus Fischfang und der heimischen Korkindustrie stark zurückgingen. Die Menschen verließen Tossa, wanderten aus. Meist nach Amerika.

 

 90 Jahre später, so ist zu lesen, hatte sich die Einwohnerzahl von Tossa dramatisch um fast ein Drittel auf 1300 Menschen reduziert. Und nun  der Satz:

 

„Plötzlich und unerwartet bricht über Tossa etwas ganz und gar ungewöhnliches ein - der internationale Tourismus.“

 

Innerhalb eines Jahres stieg die Einwohnerzahl wieder und ein Besucherstrom ungekannten Ausmaßes kam über die Stadt. Was war der Grund. Etwas musste der Auslöser für diesen plötzlichen Wandel gewesen sein.

 

Meine Frau, Tochter Sandra und ich durchforsten die kleinen Geschäfte, in denen es Andenken gibt, in der Hoffnung alte Fotos um 1950 oder älter zu finden. Und tatsächlich in einem kleinen Souveniershop entdecken wir nach langem suchen einen Schuhkarton mit Schwarzweiß-Motiven der Stadt, der Burg usw. Sofort ist auf jedem Bild erkennbar: Zu der Zeit der Aufnahmen (1920, 1930, 1940, 1950) gab es in Tossa kein Anzeichen von Tourismus.

 

In einem Fotofachgeschäft zeigt mir der Inhaber die Negative und Abzüge von Aufnahmen seines Großvaters, der Tossa stets fotografierte. Auch hier kein Tourismus zu sehen. Veschnaufpause in einem Restaurant, das wir uns deswegen aussuchten, weil die Wände mit alten Fotos der berühmtesten Sänger und Schauspieler von Frank Sinatra bis Ava Gardner dekoriert sind.

 

Der freundlichen Kellner, auf die Fotos angesprochen, erzählt mit Stolz davon, dass alle Künstler, die an den Wänden verewigt sind, einmal Gast im Lokal waren. Besonders stark in den Jahren 1950 und 51.

 

Wieder im Hotel, gehe ich in dessen Internetcafe´. Was bekomme ich heraus über Tossa? Eine Suchmaschine wirft über hundert Adressen von Internetseiten aus. Ich erweitere meine Suche um den alten Namen der Stadt „Tursia“ und füge auch noch den Namen „Sinatra“ hinzu.

 

So erfahre ich von einer ausgewählten Seite, das Frank Sinatra 1950 mit Ava Gardner verheiratet war, die zu der Zeit in Spanien einen neuen Film drehte. Frank aber so eifersüchtig gewesen sein soll, dass er ihr nachreiste.

 

Erneute Suche. Eingabe in die Suchmaschine: Tossa Ava-Gardner

 

Da habe ich es nun. 1950 war Tossa Drehort für den Spielfilm „Pandora and the flying dutchman“, Pandora und der fliegende Holländer. Regisseur Albert Lewin. In den Hauptrollen: James Mason und Ava Gardner und da ist auch ein Bild mit Ava und Frank, wie sie im erwähnten Lokal sitzen und etwas trinken.

 

Uraufführung 1951. Für mich ist es nun einleuchtend, dass Kinobesucher in aller Welt neugierig wurden auf diesen zauberhaften Drehort, der auch die Perle der Costa Brava genannt wird und einen Urlaub dorthin planten und letztlich auch unternahmen. Es fehlt mir jedoch noch ein weiteres Indiz. Meine Theorie steht noch auf etwas wackeligen Füßen.

 

Irgendwie zieht es mich in die alte Burg mit ihren drei großen und fünf kleinen Wehrtürmen.

 

Ein Szenenfoto aus „Pandora und der fliegende Holländer“ zeigt eine Frau auf einer Plattform, die von dort auf die Bucht von Tossa schaut. Ich versuche den genauen Standpunkt des Fotografen zu finden, von dort die Aufnahme gemacht wurde. Ich finde diese Plattform. Etwas anders gestaltet als auf dem Szenenfoto.

 

Ich war schon einmal hier oben. Da war es jedoch bereits dunkel, als ich mich an die Bronzestatue lehnte und auf das beleuchtete Tossa hinunterschaute. Was hatte diese Staue für eine Bedeutung. Dargestellt wird eine junge Frau  mit langem Kleid, welches figurbetont den Körper bedeckt. Sie blickt hinüber zum Ende der sichelförmigen Bucht. Auf einer Steintafel dann für mich eine erlösende Erklärung. Die Bronzefigur stellt Ava Gardner in der Rolle der Pandora dar.

 

1998 hatten die Stadtväter veranlasst, acht Jahre nach dem Tode Gardners, auf jener Plattform ihr ein Denkmal zu setzen. Auf der Tafel ist nachzulesen, dass diese Statue in dankbarer Erinnerung an Ava Gardner an dieser Stelle platziert wurde.

 

Wofür wollte man sich bedanken? Einzige, für mich plausible Erklärung wäre wiederum der Umstand, dass der damals gedreht Film der Auslöser für den Boom auf Tossa war. Nirgendwo werden die näheren Umstände beschrieben. Kein Buch, keine Internetseite geht auf die Gründe des plötzlichen Massentourismus in Tossa ein.

 

Das ist meine Geschichte. Noch in den letzten Urlaubstagen schreibe ich ein Textmanuskript.

 

Es sollte spannend wirken, die Geschichte von Tossa anreißen und Fragen aufwerfen.

 

Vor meinem geistigen Auge läuft beim Lesen des Geschriebenen  bereits ein fertiger Film ab und ich erkenne sehr schnell, welche Videoaufnahmen mir noch fehlen.

 

Noch am letzten Urlaubstag habe ich mich mit Emilio verabredet. Er betreibt ein kleines Straßencafe´, in dem wir an einigen Abenden saßen. Bei ihm entdeckte ich hinter seiner Bar zwei gerahmte Bilder mit Motiven des alten Tossa. Fotos, die mir vielleicht fehlen könnten.

Noch einmal Einsatz von Stativ und Kamera. Emilio stellt mir die gerahmten Bilder zum aufzeichnen bereit. Sandra und ich gehen noch einmal ins archäologische Museum, erhalten im 2. Anlauf die Erlaubnis zu filmen und zu fotografieren und machen davon reichlich gebrauch bevor wir schnellen Schrittes zum Hotel zurückgehen. Eine Stunde später sind wir alle schon auf dem Rückweg nach Deutschland.

 

Innerhalb der nächsten drei Monate werden die einzelnen Filmszenen am Computer zusammengeschnitten. Veränderungen an zahlreichen Aufnahmen vorgenommen. Fahrende mittelalterliche Schiffe auf das Meer kopiert. Badegäste in laufenden Szenen herausretuschiert. Jede Einstellung farblich an die anderen angepasst. Kleinarbeit.

 

Fast jeder O-Ton der benutzten Videoaufnahmen wird neu bearbeitet. Geräusche hinzugefügt oder herausgefiltert. Hundegebell, Glockenleuten, Meeresbrandung, loderndes Feuer oder auch zuschlagendes Burgtor – um nur einige zu nennen – werden mit bestehenden Audiosequenzen vermischt. Viermal spreche ich den Kommentar, bis mir der Klang und die Geschwindigkeit zusagt.

Anfang November Testvorführung im benachbarten Städtchen Hamm in Westfalen.

Die Resonanz der ca. 35 anwesenden Gäste ist äußerst positiv. Spannend wird immer wieder erwähnt. Das war es, was ich wollte. Die Zuschauer mit meiner zu Geschichte fesseln.

 

Landesfilmfestival in Soest, März 2004. Die Jury verleiht dem Film einen ersten Preis. Weitermeldung zum Bundesfilmfestival für Dokumentarfilm. Eine Stimme fehlt zur Goldmedaille. Aber immerhin Silber. Die Krönung für den Film ist die Teilnahme an den Deutschen Filmfestspielen im Mai 2004 in Jena. Auch hier äußerst gute Noten von den Profi-Juroren.

Zwischenzeitlich hatte ich vergebens versucht an den Film „Pandora und der fliegende Holländer“ zu kommen. Vergebens. Ein Juror auf dem Bundesfilmfestival kam auf mich zu und bemerkte, dass er meinen Beitrag sehr aufregend fand und er in seinem Videoarchiv zuhause noch den Film mit Ava Gardner und James Mason habe, den er sich nun noch einmal

 

ansehen werde. Als ich ihm schilderte, dass es mir bislang nicht möglich war, den Film zu sehen, versprach er mir die Videokassette zu schenken.

 

Nach einer Woche erhielt ich auch tatsachlich den Film mit der Post. Abends dann für mich eine interessante Feststellung. Nach Sichtung dieses eigenwilligen Spielfilms, der damit beginnt, dass zwei Tote aus dem Meer gefischt werden, dann in die Vergangenheit springt um die Geschichte der Pandora und des fliegenden Holländers zu erzählen um schlußendlich wieder dort zu landen, wo die Filmgeschichte begann.

Eigentümlich ist für mich, obwohl ich den Spielfilm vorher nie gesehen hatte, dass meine Geschichte auch in der Gegenwart beginnt, zurückgeht in die Vergangenheit, die Geschichte von Tossa erzählt um dort zu enden, wo sie auch begann:

In der Burg bei der Bronzestatue, die Ava Gardner darstellen soll.